Die Fragen wurden gestellt von Karoline Eva Hinterberger, Studentin der PH Salzburg (Juni 2013) an:

Burkhard Mikolai, Leiter mehrerer Gitarrenklassen:
Institution: Rolf Zuckowski Grundschule in Lindenberg
(Brandenburg, Landkreis Oder-Spree)

1. Aus welchem Grund haben Sie den Schwerpunkt Gitarre installiert? Ging die Initiative von den Eltern oder den Schülern aus oder von der Schule?

Die erste Initiative ging von mir aus. Es gab in unserer Stadt (Beeskow) bereits seit einigen Jahren Bläserklassen.

Jedem Kind, unabhängig von seiner sozialen Herkunft, den Zugang zu musikalischer Bildung zu verschaffen, war ein grundlegender Gedanke. Ich habe damals (2006) die Direktorin in Lindenberg angesprochen und stieß sofort auf offene Ohren. Für die Umsetzung brauchten wir dann ca. ein halbes Jahr.

Seit 2 Jahren läuft das Projekt nun über den VdMK Brandenburg. Wie zuvor wird der Unterricht im Tandem von Grund- bzw. Musikschullehrer erteilt.

Die anfallenden Personalkosten für die Tätigkeit der Musikschullehrkraft sind jetzt durch die Bereitstellung zusätzlicher Landesmittel abgesichert und werden den Grundschulen für die Dauer des Projektes zugesichert.


2. Wer kommt für die Instrumente auf? Erziehungsberechtigte oder die Schule? Oder gibt es einen finanziellen Zuschuss von der Schule für die Instrumente?

Ich betreue Projekte, bei welchen die Finanzierung unterschiedlich läuft. Bei meinem ersten Gitarrenprojekt (Projektbeginn 2006) wurden die Instrumente von der Sparkasse finanziert und dem Förderverein der hiesigen Musikschule übertragen. Das bedeutet, sollte das Projekt einmal aufgegeben werden, gehen die Instrumente an den Förderverein der Musikschule Beeskow zurück.

Das zweite Projekt wurde initiiert vom VdMK Brandenburg. (Klasse Musik Brandenburg) Die Instrumente, Fußbänke und Stimmgeräte wurden vom Verband der Musik- und Kunstschulen Brandenburg e.V. zur Verfügung gestellt.


3. Beschreiben Sie bitte im Folgenden einen Stundenverlauf:

Vor Beginn der 1. Stunde kommen ca. 3-6 Kinder (selbständig) in den Musikraum. Der Raum muss vorbereitet werden. Tische und Stühle werden an den Rand des Raumes gestellt, die Hocker in einem großen Kreis aufgestellt. Fußbänke liegen auf den Hockern. Jeder Schüler baut die Fußbank selbst auf. Da wir zusätzlich u.a. mit Cajon, Klangbausteinen und Xylophonen spielen, werden diese in die Mitte des Kreises gestellt. Notenständer werden nicht immer benötigt, da wir viel ohne Noten spielen.
Danach holen die Kinder ihre Gitarre aus unserem Gesprächszimmer. (kleiner Raum für Lehrer-, Eltern- und Schülergespräche) Hier lagern die Gitarren.

Die Kinder stimmen jetzt selbständig ihre Gitarren mit Hilfe eines Cliptuners. Die Vorbereitungen sind nun abgeschlossen.

In den ersten Wochen beginnen wir mit unserer Stimmschlange. Eine zusätzliche Kontrolle, wie die Schüler mit dem Stimmen des Instrumentes zurecht kommen. Der erste Schüler spielt die hohe e-Saite, dann der linke Nachbar und so weiter... Das Spiel läuft zügig bis alle Saiten gehört und gegebenenfalls nachgestimmt sind.

Jetzt beginnt der eigentliche Unterricht. Zum Unterrichtsbeginn gibt es regelmäßig ein Begrüßungsspiel (oft ohne Gitarre) oder eine Einspielübung.

Stücke werden erarbeitet nach dem Prinzip: hören und sehen - verstehen (wie kann ich es auf der Gitarre umsetzen) - probieren - erleben (gemeinsam spielen).

Lernziel ist eine Ausgewogenheit zwischen: Bassspiel, Akkordspiel, Melodiespiel und Bedienung von Orff-Instrumenten, Percussion und Gesang.

Am Ende der Stunde legen wir gemeinsam grob fest, was wir in der nächsten Stunde erreichen wollen. Feedback einholen: "Habt Ihr das Gefühl, dass wir gut vorangekommen sind?" "Hat es Spaß gemacht?" "Was hat Euch nicht gefallen?"

... Wir freuen uns auf die nächste Stunde.


4. Sind alle Stunden gleich aufgebaut?

Ein gleicher Stundenaufbau wäre sicherlich für viele Kollegen die mit Klassenmusizieren beginnen eine gute Hilfe, macht aber in der Praxis wenig Sinn, da die unendlichen Möglichkeiten eines guten Klassenmusizierens dadurch in zu enge Bahnen gedrängt werden.


5. Findet Improvisation bei Ihnen in der Stunde auch Platz?

Ja, sie hat einen festen Stellenwert.


6. Werden Intonationsübungen gemacht?

Ja und nein. Wenn sich Intonation auf das Stimmen der Gitarre bezieht, dann eher "noch" nicht. Das übernimmt unser Cliptuner. Aber es gibt Spiele zum Notenlesen lernen, wie "höher - tiefer - gleich". Dieses Spiel hilft auch, Intonation zu üben.


7. Wie wird das Problem mit dem Stimmen gehandhabt?

Wir benutzten einen Cliptuner. (bei Thomann ab 5 Euro) Hierbei kann der ein oder andere Schüler Probleme haben. Er bekommt dann Hilfe von uns Lehrern.


8. Wo werden die Instrumente gelagert? Bringen die SchülerInnen diese am Tag der Instrumentalstunde zur Schule mit oder gibt es einen Raum, in denen die Schüler ihre Instrumente stellen können oder stehen diese im Klassenzimmer auf den Plätzen der Schüler?

Wir haben in unserer Lindenberger Schule einen "Gesprächsraum". Hier werden die Gitarren gelagert. Der Gitarrenunterricht (3 Stunden pro Woche) erfordert nicht zwingend, dass die Kinder ihre Gitarren mit nach Hause nehmen. Aber wir freuen uns natürlich, wenn die Gitarren mitgenommen werden. Das ist ein wesentliches Zeichen dafür, dass das Gitarre spielen bei den Kindern ankommt. In der Praxis ist es so, dass viele Kinder nach dem ersten halben Jahr auch eine eigene Gitarre bekommen. Der Transport fällt dann weg.


9. Kommt es vor, dass SchülerInnen Instrumente zu Hause vergessen? Wenn ja, wie wird damit umgegangen?

Kommt immer wieder mal vor. Auch das Notenheft wird schon mal vergessen. Aber in der Praxis sind das keine Probleme. Wir haben Gitarrensätze von anderen Klassen. Der Schüler muss dann fragen, ob er eine andere Gitarre benutzen darf.


10. Gibt es einen Proberaum oder finden die Proben im Klassenraum statt?

Der Unterricht findet im Musikraum der Schule statt.


11. Wird auch Auswendig gelernt? Legen Sie großen Wert darauf, dass die SchülerInnen Stücke auswendig spielen oder nach Noten?

Auswendig zu spielen nimmt einen großen Raum ein. Besonders beim spielen mit Gitarrenakkorden versuche ich ein Gefühl für Zeit und Raum zu entwickeln. Noten sind an dieser Stelle meiner Erfahrung nach nicht förderlich.


12. Wie wird ein neues Stück einstudiert? Beschreiben Sie bitte eine solche Situation!

Melodiespiel - Pop Star (siehe Noten im Anhang)
Wir singen die Melodie und der Fingersatz ist unser Text:
Zwei, zwei, zwei, null | null, zwei zwei (Schritt)
Zwei, zwei, zwei, null | null, zwei zwei (Schritt)
rot, rot, rot (Schritt) | blau, blau, blau (Schritt)
rot, rot, rot (Schritt) | blau, blau, blau (Schritt)

Alles wird in "Echtzeit" auswendig gelernt. Zusätzlich werden beim Singen die entsprechenden Finger gezeigt. (zwei Finger oder Faust für leere Saite)

Danach gibt es erst die Noten. Es gibt noch eine Reihe von anderen Möglichkeiten Stücke einzuüben, ohne das Instrument zu benutzen.


13. Wie lernen die SchülerInnen die Technik des Gitarrenspielens? Beschreiben Sie bitte kurz!

Wir beginnen mit dem Daumenanschlag. Beim Akkordspiel kann auch ein Plektrum verwendet werden. Der Wechselschlag folgt. Bei offensichtlichen Problemen, wie z.B. bei der Handstellung, wird direkt auf den Schüler zugegangen, um individuelle Tips zu geben.


14. Wie wird die Haltung beim Gitarrenspielen gelernt?

Wir beginnen mit der "Klassischen Gitarrenhaltung". Sie stellt aber kein Dogma dar. Wenn ein Schüler eine andere Haltung bevorzugt, wird diese akzeptiert, insofern er dann noch spielen kann.


15. Was verwenden die SchülerInnen?

Wir benutzen: Gitarre, Fußbank, Cliptuner, Hocker, Notenständer, Notenmaterial "Die Klimperfibel"


16. Wird das Instrumentalspiel auf der Gitarre in den Musikunterricht integriert oder findet eine weitere Musikstunde statt, in der ausschließlich musiziert wird?

Das Projekt beginnt in der 4. Klasse und geht über 2 Jahre. Wöchentlich stehen 4 Musikstunden zur Verfügung. 3 Stunden werden für das Projekt Gitarre genutzt. Eine Stunde bleibt für den normalen Musikunterricht.


17. In manchen Instrumentalklassen werden in den ersten beiden Jahren "Basics" auf den Instrumenten vermittelt. Der Schwerpunkt liegt in den ersten beiden Jahren auf Notenwerten, dem Hören, und ersten Notenspielen. Wie wird in Ihrer Gitarrenklasse gearbeitet?

Ziel ist es von Anfang an, Freude am musizieren zu haben. Motto: Eine gute Unterrichtsstunde erkennt man daran, wenn die Schüler am Stundenende darum bitten, weiter arbeiten zu dürfen. Wir sind eine inklusive Schule in der jeder mitgenommen wird. Es erfolgt kein unterrichten im Gleichschritt. Für jedes Lied, das wir spielen, gibt es verschiedene Schwierigkeitsstufen. Somit kann sich jeder einbringen.


18. Wie sieht Ihre persönliche Ausbildung aus? Haben Sie Gitarre studiert oder eine Musikpädagogische Ausbildung absolviert, bevor Sie dieses Angebot an die Kinder herangetragen haben?

Ich habe an der Musikhochschule "Hanns Eisler" in Berlin E-Gitarre in der damaligen Tanzmusik-Abteilung studiert, klassische Gitarre im Nebenfach. Ein einschneidendes Erlebnis war für mich eine Weiterbildung bei Dr. phil. habil. Christoph Schwabe, Musiktherapeut, die mir in vielerlei Hinsicht die Augen öffnete.

Eine wesentliche Säule bildet das unterrichten mit Hilfe farbiger Noten (Guitar Colour System). Dieses System bildet die wesentliche Basis, um Schüler unterschiedlichster Begabung gemeinsam, und in größeren Gruppen als an Musikschulen üblich, zu Unterrichten. Erst dadurch kam ich überhaupt auf die Idee, solch ein Projekt anzugehen.


19. Wo liegen die Schwierigkeiten für die Lehrperson, wenn man eine heterogene Gruppe (Klasse) leiten muss?

Klassenmusizieren ist kein unterrichten im Gleichschritt. Jedem Schüler die Möglichkeit zu eröffnen, Freude am Musizieren zu finden, trotz unterschiedlicher Begabung, sollte ein wesentliches Ziel sein. Dazu kann es auch nötig sein, das Gleichberechtigungsgefühl innerhalb einer Klasse zu stärken, indem man z.B. offensiv ausgegrenzte oder sich ausgrenzende Schüler zu integrieren versucht.


20. Was spricht Ihrer Meinung nach für eine Gitarrenklasse?

Die Gitarre ist ein sehr vielseitig nutzbares Instrument. Man kann zu ihr singen, in der Gruppe spielen, E-Gitarre und Bassgitarre einsetzen und eine Band gründen. Durch die verschiedenen Instrumente hat der Schüler eine klangliche Flexibilität von Klassik bis Rock, wie sie auf kaum einem anderen Instrument gegeben ist. Abgesehen davon ist die Gitarre durch die Popularmusik sehr beliebt und stößt bei den Schülern seltener auf Ablehnung als andere Instrumente.

Die Gitarre passt auch hervorragend zum Cajon, Klangbausteinen und anderen orffschen Instrumenten. Die Notenschrift lässt sich bei diesen Instrumenten mit dem "Guitar Colour System" verbinden.

Interaktion innerhalb der Gruppe hat einen festen Platz und fördert nicht zuletzt die soziale Kompetenz. Gemeinsam Musik zu erleben und Freude daran zu entwickeln steht im Mittelpunkt.


21. Wie sieht die Zusammenarbeit mit den Eltern aus?

Einmal im Jahr gibt es ein Konzert nur für die Eltern. Ansonsten laufen die Kontakte von uns zu den Eltern über die Schüler. Beispiel: Ein Kind möchte sich eine Gitarre zum Geburtstag schenken lassen. Da helfen wir dann beim Finden des passenden Instruments. Es werden E-Gitarren und klassische Gitarren gekauft.


22. Gibt es Zusammenarbeit mit anderen Institutionen?

Es sind 4 Institutionen die für die Durchführung des Projektes vorrangig wichtig sind:
* Grundschule
* Musikschule
* Schulträger
* Verband der Musik- und Kunstschulen Brandenburg e.V.
www.vdmk-brandenburg.de


23. Wie darf ich mir eine Verschränkung zum traditionellen Musikunterricht vorstellen? Oder ist der Gitarrenunterricht der Musikunterricht?

In den Klassen 4 und 5 sind jeweils 3 Stunden für den regulären Musikunterricht vorgesehen. Da für das Gitarrenprojekt 3 Stunden veranschlagt sind, würde eigentlich keine Stunde für den regulären Musikunterricht mehr zur Verfügung stehen. In Absprache mit der Schulleitung und den Eltern wurde die Wochenstundenzahl der beiden Klassen jeweils um eine erhöht. In dieser Stunde findet der reguläre Musikunterricht statt. So läuft es an unserer Schule.

Diese Aufteilung der Stunden wird in Absprache mit Schule, Schulträger, Musikschule und Eltern getroffen und kann variieren.

Eine direkte Verschränkung gibt es nicht. Da die Musiklehrerin der Schule ja im Projekt aktiv mit arbeitet, ergeben sich natürlich parallelen. Diese sind aber nicht theoretisch festgeschrieben, sondern ergeben sich aus der Unterrichtspraxis als Notwendigkeit. z.B. Notenlehre, Instrumentenkunde, Liedgut ...

Im neuen Schuljahr starten wir z.B. ein Bandprojekt mit Schülern die bereits ein Jahr Gitarrenklasse hinter sich haben. Dieses findet dann am Nachmittag in der Schule statt. Das zeigt: "Der Weg ist das Ziel."